Wenn man im biblischen Kontext den Begriff „das Gesetz“ verwendet, dann meist im selben Sinne wie im Neuen Testament: Man meint damit ganz konkret das Gesetz des Mose. Es ist sehr wichtig, dies zu verstehen. Mit „das Gesetz“ (mit dem bestimmten Artikel „das“) ist im Neuen Testament durchweg „das Gesetz des Mose“ gemeint.
In Epheser 2,15 gebraucht Paulus die Wendung „das Gesetz der Gebote, die in Satzungen enthalten sind“. Die „Gebote“ sind die direkten Anforderungen bzw. Verbote, also die Zehn Gebote: Du sollst nicht Ehebruch begehen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen etc. Mit „Satzungen“ ist eine bestimmte Art zu leben gemeint, bei der man die Gebote in die Praxis umsetzt: bestimmte Dinge, die man tun musste, bestimmte Vorgehensweisen oder Prozeduren, die man befolgen musste, wie z.B. Erstattung bei Verlust von Dingen oder die Darbringung eines entsprechenden Opfers im Haus des Herrn. Somit lässt sich das gesamte Gesetz mit der Wendung „das Gesetz der Gebote, die in Satzungen enthalten sind“ zusammenfassen.
Jetzt denkt man vielleicht: „Ich bin kein Jude. Ich wurde nicht unter dem Gesetz des Mose groß und deshalb sind diese Überlegungen für mich nicht relevant.“ Aber sie betreffen auch Nichtjuden sehr wohl. Paulus erklärt uns das in Römer 2, wo er die Funktion des Gesetzes erläutert. Er sagt, die Nichtjuden seien, obwohl die meisten von ihnen nie dem Gesetz des Mose unterstellt waren, in gewisser Weise sich selbst Gesetz geworden.
„Denn wenn Nationen, die kein Gesetz [das Gesetz des Mose] haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. Sie beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen mit Zeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen.“ (Röm 2,14-15)
Zu beachten ist, dass nicht das Gesetz an sich in den Herzen der Nationen bzw. Nichtjuden geschrieben ist, sondern das Werk des Gesetzes. Mit anderen Worten: Im Herzen jedes Nichtjuden ist etwas, das für ihn dieselbe Wirkung hat wie das Gesetz des Mose für einen Juden. Was tut das Gesetz für einen Juden? Das Gesetz wirft die Frage nach persönlicher Verantwortung und persönlicher Schuld auf. Somit könnte man also sagen, dass ein Nichtjude einen „inneren Gerichtshof“ hat, vor dem ihn seine Gedanken entweder anklagen oder freisprechen und in dem sein Gewissen als Richter fungiert.
Hierzu gibt Derek Prince ein Beispiel aus seinem Buch „Allein durch Gnade“:
„Ich habe viele Nationen bereist und dabei die Beobachtung gemacht, dass es bei vielen verschiedenen Volksgruppen als Sünde gilt, wenn man lügt. Dies gilt allerdings nicht für alle Menschen. Manche Leute tolerieren Lüge; für manche ist es ausschlaggebend, wen man anlügt. Für einen Muslim ist es falsch, einen anderen Muslim anzulügen, aber unter bestimmten Umständen könnte es möglicherweise in Ordnung sein, jemanden anzulügen, der kein Muslim ist. Jedenfalls haben die meisten Kulturkreise bestimmte Regeln, was Lüge anbelangt.
Nehmen wir nun jemanden, der kein Jude ist, und dessen Verhaltenskodex besagt, es sei falsch zu lügen. Aus irgendeinem Grund lügt er doch einmal. Wenn er lügt, wird sein 'innerer Gerichtshof' einberufen. Ein Gedanke sagt: 'Du hast eben gelogen.' Ein zweiter Gedanke erwidert: 'Das war doch im Grunde keine Lüge. Ich habe die Wahrheit einfach ein bisschen anders formuliert.' Darauf entgegnet der erste Gedanke: 'Nein, du hast gelogen. Du hast gewusst, dass das nicht wahr war.' Das Gewissen der Person fungiert währenddessen als Richter. Wir sehen also im Inneren dieser Person die Wirkung des Gesetzes. Es ist nicht das Gesetz des Mose an sich, sondern die Funktion des Gesetzes im Herzen und im Denken dieser Person. Und deshalb bewirkt das Werk des Gesetzes im Inneren eines Nichtjuden dasselbe, was das Gesetz des Mose in einem Juden bewirken soll.
Paulus spricht diesen Punkt an, um seinen Lesern vor Augen zu führen, dass seine Lehre über das Gesetz nicht nur für Menschen gilt, die aus einem jüdischen Hintergrund kommen. Sie gilt für alle Menschen, weil in ihnen allen irgendein moralischer oder rechtlicher 'Kodex' wirksam ist, und ich glaube, dass es da keine Ausnahmen gibt. Aus diesem Grund können wir sagen, dass wir alle wissen, wie es ist, wenn ein Nichtjude sich selbst Gesetz ist, sei es stark und effektiv oder schwach und ineffektiv. Jeder von uns hat etwas in sich, das wie ein Gesetz wirkt. Wenn wir auf unser Leben zurückblicken, werden wir uns vermutlich an viele Begebenheiten erinnern, in denen dieser 'innere Gerichtshof' in unserem Herzen und in unseren Gedanken einberufen wurde. Wir versuchten, uns zu rechtfertigen und wurden doch gleichzeitig von uns selbst angeklagt. Unser Gewissen trat auf den Plan, um ein Urteil zu fällen. Das ist das 'Werk des Gesetzes', das in unsere Herzen geschrieben ist.“
Ein wichtiger Zweck des Gesetzes ist nach den Aussagen des Neuen Testaments dieser: Den Menschen ihren sündigen Zustand zu zeigen. Paulus macht das in Römer 3,19-20 klar, wo es heißt: „Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei. Darum: aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“
Wie deutlich ist doch diese Aussage: „... aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden ...“ Mit anderen Worten: Kein Mensch wird je in Gottes Augen Gerechtigkeit erlangen, indem er das Gesetz befolgt. Doch daneben nennt Paulus hier zweimal mit verschiedenen Worten den Hauptzweck, zu dem das Gesetz gegeben wurde: 1. damit die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei; 2. durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde. Wir sehen, dass das Gesetz nicht gegeben wurde, um die Menschen gerecht zu machen, sondern um ihnen im Gegenteil bewusst zu machen, dass sie Sünder und damit dem Gericht Gottes verfallen sind.
Wichtig ist folgendes zu verstehen: Paulus sagt in Römer 10,4-5:
„Denn Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. Mose beschreibt nämlich die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, so: 'Der Mensch, der diese Dinge tut, wird durch sie leben'. Aber die Gerechtigkeit aus Glauben redet so ...“
Sobald ein Mensch an Christus glaubt und gerettet wird, bedeutet das für diesen Menschen das Ende des Gesetzes als eines Mittels zur Erlangung der Gerechtigkeit. Paulus ist hier sehr sorgfältig und genau in seiner Wortwahl. Er sagt nicht, dass das Gesetz als Teil des Wortes Gottes ein Ende gefunden hat. Im Gegenteil: Gottes Wort bleibt in Ewigkeit bestehen. Vielmehr hat das Gesetz für den Glaubenden als Mittel zur Gerechtigkeit ein Ende.
Hier sind die Segnungen für Gehorsam und Flüche für Ungehorsam aus 5. Mose 28 eingeschlossen, da sie Teil des Wortes Gottes sind und in Ewigkeit bestehen bleiben. Es gilt somit für Juden als auch Nichtjuden.
Quellen und weiterführende Lehren:
B114GE - Allein durch Gnade
B36GE - Fundamente des christlichen Glaubens